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Es klingt ein wenig wie aus „1001 Nacht“, als Bobby Rootveld und Sanna van Elst am 15. und 16. November 2023 ihre Veranstaltung in der Aula des Gymnasiums Nordhorn beginnen. Nur fetziger, mitreißender. Sanna spielt orientalisch klingende Melodien auf einer Blockflöte, während Bobby mit seiner Gitarre für den nötigen Drive sorgt. Wäre da nicht die Musik, man könnte eine Stecknadel fallen hören. Die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 10 sind sofort eingefangen. Beeindruckt von der Kraft dieser Musik. „Für viele ist ,Jude‘ ein abstrakter Begriff“, hatte Bobby im Vorgespräch erläutert. Das Bild von Juden sei geprägt von Kippa tragenden, orthodoxen Juden. Er wolle mit seiner Frau aber deutlich machen, dass Juden nichts Abstraktes sind. Und so nutzt er die Musik, um einen Einstieg zu finden in dieses „Greifbar-Machen“. Er erläutert, dass es sich bei diesen Klängen um Klezmer-Musik handelt, um die Musik ursprünglich osteuropäischer Juden. Musik, die im Judentum immer noch gegenwärtig ist. Klezmer-Musik werde zum Beispiel oft auf jüdischen Hochzeiten gespielt. Und dann nimmt Bobby die Schülerinnen und Schüler mit auf eine Reise durch die religiöse Kultur des Judentums. Er berichtet vom Sabbat, der Freitagabend mit dem Sonnenuntergang beginnt und bis zum Sonnenuntergang am Samstag dauert. Ein Tag, an dem man ruhe, keiner Arbeit nachgehe und an dem orthodoxe Juden selbst auf den Gebrauch von Elektrizität verzichten würden. „Sanna und ich, wir können den Ruhetag nicht immer einhalten, weil wir Musiker sind“, ergänzt Bobby. Musikkonzerte seien oft am Wochenende und für den Lebensunterhalt seiner Familie wichtig. Daher sei es auch in Ordnung, wenn er und seine Frau am Ruhetag arbeiten.

Jüdische Häuser erkenne man eigentlich an einem Kästchen mit einer Pergamentrolle, das am rechten Türpfosten befestigt ist, der Mesusa. Viele Juden in Europa würde aber heutzutage darauf verzichten, weil es oft Anlass zu Vandalismus sei. „Dann werden Scheiben eingeworfen“, schildert Bobby entsetzt.

Dann greift er wieder zur Gitarre und trägt ein jiddisches Lied vor. „Ich liebe diese Sprache, weil meine Familie die Sprache früher gesprochen hat“, schwärmt Bobby. Er nimmt das zum Anlass, über die Geschichte seiner Familie zu erzählen. Von seinem Großvater, der sich dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus angeschlossen habe. Der sich zunächst auf einem Bauernhof versteckt habe, im Zweiten Weltkrieg dann aber nach Amsterdam zurückgegangen sei. Doch auch dort geriet die Familie in die Fänge der Nazis, wurde in einem Ghetto zusammengepfercht und schließlich in die Gaskammern im Osten deportiert. Nur der Großvater habe das Grauen überlebt. Aber selbst in dieser bedrohlichen Atmosphäre habe Musik eine Rolle gespielt, um sich ein letztes Stück Freiheit zu bewahren. Passend stimmt Bobby ein Lied an, das im Konzentrationslager Ausschwitz entstanden war. Es ist genau diese Mischung aus lebendiger Schilderung im Vortrag und passenden Musikstücken, die die Zehntklässler einfängt.

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Ablehnung und Hass gegenüber Juden sei aber nicht nur ein Problem aus der Vergangenheit. Als im Mittelalter in Europa die Pest wütete, sei schnell die Meinung umgegangen, Juden würden krank machen, berichtet Bobby. Tatsächlich sei es so gewesen, dass weniger Juden von der Krankheit betroffen gewesen seien als im Rest der Bevölkerung. Das habe mit daran gelegen, dass Juden durch die Thora sehr strenge Hygienevorschriften auferlegt seien. Und dann kommt Bobby wieder auf sich und seine Familie zurück. „Wir haben in unserem Alltag auch mit Bedrohung zu tun“, schildert er. Auch in der Grafschaft gebe es immer wieder antisemitische Vorfälle. Konzerte könnten im Moment nur mit Polizeischutz vor dem Konzertsaal und verdeckten Ermittlern im Publikum stattfinden. An einem anderen Nordhorner Gymnasium sei ein Meme verbreitet worden, das Juden in unvorstellbarer Weise verunglimpfe. „Was mich schockiert, ist, dass Hakenkreuze einen ganzen Tag lang an einem Verkehrsschild sein können, ohne dass es jemand meldet“, berichtet Bobby von einem anderen Vorfall. Er fordert auf, mehr Mut und Verantwortung zu zeigen. „Wenn ihr Rassismus bemerkt, bitte meldet es! Egal, ob gegen Juden, Moslems, Hinduisten …“, so Bobby. Jemand, der einen Vorfall melde, sei kein Verräter. Vielmehr verrate derjenige die Gesellschaft, der rassistisch sei oder Rassismus dulde.

Andreas Langlet